Unsere Gewohnheiten bestimmen maßgeblich unser Leben.
Im Guten wie im Schlechten. Wer versucht sie zu ändern oder andere dabei unterstützt findet hier Zahlen und Fakten, um realistische Entscheidungen zu treffen.
Dabei beziehe ich mich vor allem auf wissenschaftliche Studien und Befunde aus der Psychologie und den Neurowissenschaften.
Typische Fragen werden beantwortet, wie…
- Was genau ist eigentlich eine Gewohnheit?
- Wie lange dauert es bis sich eine Gewohnheit bildet? (Und ist es schlimm, wenn ich einen Tag verpasse?)
- Was sind typische Vorhaben und wie sind die Erfolgsquoten?
- Was kann ich tun, um meine Gewohnheiten zu ändern?
Auch zeige ich worauf es ankommt, wenn wir auch unter Druck feste Gewohnheiten abrufen wollen.
Was sind Gewohnheiten?
Gewohnheiten sind die Fingerabdrücke des Charakters.
– Friedrich Nietzsche
Eine Gewohnheit ist etwas, das wir jeden Tag tun, wie das Zähneputzen. Also etwas, das wenig oder kein Bewusstsein verlangt.
In der Psychologie, definieren wir eine Gewohnheit als eine Handlung, die wir in ähnlichen Situationen immer wieder nahezu automatisch abrufen. Wir fliegen sozusagen auf Autopilot.1
Wer beispielsweise wiederholt Pizza oder Hamburger zum Abendessen isst verbindet sie wahrscheinlich mit dem Feierabend. Die Fahrt nach Hause könnte dann bereits Gedanken an Pizza und Hamburger hervorrufen – und (gesündere) Alternativen ausschließen.
Gewohnheiten in vier Phasen
Autor Charles Duhigg benennt drei Phasen bei Gewohnheiten: (1) den Auslöser, (2) die Routine und (3) die Belohnung.2
Nir Eyal, Autor von »Hooked: How to Build Habit-Forming Products«, fügt eine Phase hinzu. Direkt nach dem Auslöser, »kramt unser Gehirn in alten Erfahrungen«, um zu bestimmen welche Verhaltensoptionen am besten für uns sind. Das zeigt sich im Verlangen (oder auch Ablehnung einer Situation).
In unserem Beispiel ist der Feierabend der Auslöser (das Verlangen steigt), die Zubereitung von Burger oder Pizza die Routine und das deftig-fettige Abendessen die Belohnung.
Die Belohnung spielt eine entscheidende Rolle. Dazu Gerhard Roth, Biologe und Hirnforscher:
Der Erwerb von Gewohnheiten [ist] eine Art operante oder instrumentelle Konditionierung (also positives oder negatives Verstärkungslernen). Die meisten Gewohnheiten gehen auf das mehrfache Wiederholen anfänglich bewusst durchgeführter Handlungen zurück, die eine positive Konsequenz hatten oder halfen, negative Konsequenzen zu vermeiden, und dann zur Routine wurden. Andere Gewohnheiten und auch sogenannte Marotten bilden sich aus, ohne dass uns dies überhaupt bewusst ist.
– Gerhard Roth & Alica Ryba (Coaching, Beratung und Gehirn)
Die zeitgleiche Anwesenheit von Auslöser und Routine ermöglichst die Verknüpfung zwischen den beiden und damit eine Tendenz zum automatisierten Verhalten, wodurch wir unseren Kopf für anderes frei haben.3
Das ist nützlich, wenn unsere Gewohnheiten mit unseren Zielen übereinstimmen. Tun sie das nicht, stören sie, rauben uns Zeit, Energie und schädigen oft auch unsere Gesundheit.
Schätzungsweise sind 45% unserer täglichen Handlungen Gewohnheiten, so David T. Neal und Kollegen.4 Bas Verplanken nennt eine Spanne von 30 – 50%.
Die Definitionen von Gewohnheiten variieren. Es gibt aber Einigkeit in drei Punkten:
- Wiederholung ist ein Kernelement,
- es gibt einen hohen Grad an Automatisierung (d.h. wir »laufen auf Autopilot«, sparen kognitive Kapazitäten) und
- unsere Gewohnheiten werden durch situationsabhängige Faktoren, wie bspw. den Wecker, eine bestimmte Uhrzeit oder Langeweile ausgelöst.
Damit wissen wir was eine Gewohnheit ist. Weiter zur nächsten Frage.
Wie lange dauert es bis sich eine Gewohnheit bildet?
Niemand braucht unrealistische Erwartungen. Daher hier die Zahlen zur Dauer von Verhaltensänderungen.
- Vielleicht hast du von der 21 Tage Regel gehört. Dieser Mythos ist wahrscheinlich auf Erzählungen von Patienten nach Schönheitsoperationen zurückzuführen. Diese haben sich etwa nach 21 Tagen an ihr neues Äußeres gewöhnt. Mit Gewohnheiten in unserem Sinne hat das nichts zu tun.
- Relevante Studien zeigen, dass unser Autopilot im Durchschnitt nach 66 Tagen die Kontrolle übernimmt. Dann geschehen unsere Handlungen tendenziell automatisch. Eine 10 Wochen Regel ist also realistisch.
- Die Automatisierung unserer Routinen, so Philippa Lally, dauert in absoluten Zahlen zwischen 18 und 254 Tagen. Konsequente Wiederholung im selben Kontext führt dabei zu kürzeren Zeiten. Natürlich wird «ein Glas Wasser trinken» schneller zur Gewohnheit als die gesamte Ernährung umzustellen.
»Unser Autopilot übernimmt im Schnitt nach 66 Tagen, wenn wir eine neue Gewohnheit schaffen wollen.«
- Eine Studie von Navin Kaushal ging der Frage nach wie lange es dauert bis neue Mitglieder in Fitnessstudios eine Trainingsroutine bilden. Das Ergebnis: 4 mal die Woche über 6 Wochen ist die minimale Anforderung bis der Autopilot anspringt.
- Wir brauchen zu Beginn Motivation und Selbstkontrolle, wenn wir eine Gewohnheit schaffen wollen. Es wird aber zunehmend leichter bis der Autopilot schließlich übernimmt. 2-3 Monate sind für viele eine attraktive Aussicht, wenn die Routine danach in Fleisch und Blut über geht. (Gerade für jene, die sich schrittweise Gewohnheiten aneignen wollen, bspw. beim Abnehmen.)
Ist es schlimm, wenn ich einen Tag verpasse?
- Um diese Frage zu beantworten kann man die Beteiligung des «Autopiloten» vor und nach einem verpassten Tag verglichen. Wer nach einem verpassten Tag direkt weiter machte hat laut Phillipa Lally verschwindend kleine Nachteile.
- James Clear rät daher, möglichst nur einmal auszusetzen:
Never miss twice!
– James Clear
- Ein Tag ist kein Hindernis, eine Woche aber schon!
Soviel zu einfachen Gewohnheiten unter Normalbedingungen. Neue Strategien unter Druck abzurufen dauert länger.
Handeln unter Druck
Stress, Leistungsdruck und Zeitdruck sind für viele vertraute Begleiter – bei der Arbeit und privat. Wer in diesen Situationen zuverlässige neue Gewohnheiten ausbilden will muss wahrscheinlich den langen Weg des bewussten Lernens gehen.
- Wer unter Druck neue Routinen abrufen will, muss daran arbeiten alte unerwünschte Muster durch erwünschte zu ersetzen, so Maja Storch und Frank Krause. Auf diesem Gebiet erreichen wir nachhaltige Erfolge durch Ausdauer. Kurzfristige Erfolge sind hier eher die Ausnahme als die Regel. Solche Änderungen zu erreichen ist schwierig. Denn wir greifen in Strukturen ein, die uns selbst in hohem Maße verborgen sind.
- Im Gegensatz zu manchen populären Meinungen kann niemand automatisch erwarten, dass mühsam erarbeitete Erfolge nach kurzer Zeit bereits so tief verankert sind, dass sie von alleine weiter Bestand haben. Man denke an den Jo-Jo-Effekt. Für einen Menschen, der damit beginnt, auf eine neue Art zu handeln, kann es sehr entlastend sein, dies zu wissen.
- Neue Gewohnheiten schütten alte Gewohnheiten nur zu, ohne sie auszulöschen.
Neue Strategien müssen mindestens ein viertel bis ein halbes Jahr andauern, bis sie zu neuen Gewohnheiten geworden sind.
– Frederick H. Kanfer
- Automatismen greifen gerade dann, wenn wir unter Druck geraten. Das gilt für alte Gewohnheiten, die wahrscheinlich einmal eine gute Lösung waren. Um neue Automatismen auszubilden, die auch in überraschenden Situationen sicher greifen müssen den Weg des bewussten Lernen und Übens gehen.
- Neue Strategien (für alte Probleme) müssen mindestens ein viertel bis ein halbes Jahr andauern, bis sie zu neuen Gewohnheiten geworden sind.
- Wir unterscheiden zwischen drei Typen von Situationen, wenn wir Gewohnheiten ausbilden wollen:
Situationstyp A: Situationen, in denen die Verwirklichung einer (neuen) Gewohnheit einfach und automatisch gelingt.
Situationstyp B: Situationen, in denen die Verwirklichung der Routine schwierig ist, aber vorhergesehen und darum geplant werden können.
Situationstyp C: Situationen, in denen die Verwirklichung schwierig ist und die außerdem überraschend eintreten und darum nicht vorbereitet werden können.
Wer sich dieser Stufen bewusst ist wird nicht so schnell überrascht und bleibt eher am Ball. Auch kann man sich überlegen wie schwere Situationen oder gar Rückschläge bewältigt werden.
Was uns Gute Vorsätze lehren?
Ob Vorsatz mit oder ohne Jahreswechsel, Statistiken zu Neujahrsvorstätzen liefern Hinweise zu Erfolgschancen.
- Laut einer Umfrage von Forsa, die jährlich durchgeführt wird, nehmen sich pro Jahr um die 40% vor, im kommenden Jahr etwas besser zu machen (Stand 2019).
- 2018 waren es 37%, die Hälfte gibt an, die guten Vorsätze zwei bis drei Monate lang oder sogar bis heute auch zu beherzigen.
- Stressabbau steht mit mehr Zeit für Freunde und Familie ganz oben auf der Liste (64%).
- 57% wollen sich im kommenden Jahr mehr bewegen oder Sport treiben.
- Einen deutlichen Anstieg gab es bei dem Punkt «weniger Handy, Computer, Internet»: Gaben dies im Jahr 2014 nur 15% der Befragten als Vorhaben für das kommende Jahr an, sind es 2020 bereits 27%.
Gute Vorsätze für 20205
• Stress vermeiden oder abbauen (64%)
• Mehr Zeit für Familie / Freunde (64%)
• Umwelt- bzw. klimafreundlicher verhalten (64%)
• Mehr bewegen/Sport (56%)
• Mehr Zeit für mich selbst (53%)
• Gesünder ernähren (53%)
• Abnehmen (36%)
• Sparsamer sein (31%)
• Weniger Handy, Computer, Internet (27%)
• Weniger fernsehen (20%)
• Weniger Alkohol trinken (15%)
• Rauchen aufgeben (11%)
Was aus diesen Vorsätzen in der Regel wird, zeige ich im nächsten Abschnitt.
Wie lange Vorsätze anhalten?
233 Deutsche wurden befragt wie lange sie ihre Vorsätze in den vergangenen Jahren einhalten konnten:6
- 20% haben ihre Vorsätze beibehalten,
- 27% haben sich länger als zwei Monate daran gehalten,
- 12% einen Monat,
- 12% zwei bis drei Wochen,
- 6% eine Woche,
- 6% einen Tag und
- 3% geben an nur einige Stunden durchgehalten zu haben.
Das heißt, nur jeder Fünfte ist erfolgreich.
Gut ist der Vorsatz, aber die Erfüllung ist schwer.
– Johann Wolfgang von Goethe
Was fehlt Neujahrvorsätzen?
Psychologisch betrachtet muss man hier zwischen dem bloßen Wunsch und dem absoluten Wollen unterscheiden. Neujahrvorsätze zeigen oft nur einen Wunsch. Das unbedingte Wollen hingegen geht mit starken Emotionen, Entschlossenheit und Willenskraft einher.7
Einen weiteren Grund für diese geringe Erfolgsquote sieht die Psychologin Janet Polivy in «falscher Hoffnung».
Falsche Hoffnung: Wenn wir glauben Gewohnheiten zu ändern wäre leicht
Es gibt vier typische Denkfehler, die wir begehen, wenn wir etwas verändern wollen. Janet Polivy nennt sie das »Syndrom der falschen Hoffnung«.8
Wir überschätzen die (1) Schnelligkeit, (2) Leichtigkeit, (3) das Ausmaß und (4) die Auswirkungen auf andere Lebensbereiche, wenn wir etwas verändern wollen.
Die folgenden Zahlen und Statistiken werfen die Fragen auf ob man eher verwundert sein sollte warum es so schwer ist sich zu ändern, oder wie es kommt, dass die Leute es immer wieder versuchen, so Janet Polivy und C. Peter Herman.
These statistics make it difficult to know whether one should be appalled by how difficult it is to achieve permanent change or astonished by the extent to which people are prepared to try again.
– Janet Polivy und C. Peter Herman
Ein Effekt der uns widersprüchliche Informationen ausblenden lässt, schlägt zu, wenn wir einmal ein Ziel haben. In der Psychologie nennen wir ihn «goal shielding» oder Zielabschirmung.Wir sind dann sozusagen immun gegen widersprüchliche Informationen und Erfahrungen. Selbst jene, die wir bereits selbst gemacht haben.9
Dann schätzen wir eine Veränderung leichter ein, als sie ist. Vielleicht schaffen die folgenden Zahlen etwas Perspektive.
1. Leichtigkeit
- Eine Studie zum Thema Rauchen hat 200 Jugendliche und 203 Erwachsene befragt. Die Mehrheit war sich einig, dass Rauchen ein hohes Suchtpotenzial hat und ein großes Gesundheitsrisiko darstellt. Dennoch glauben 60% der Jugendlichen und 48% der Erwachsenen, dass sie ein paar Jahre rauchen könnten und dann, wenn sie wollten, einfach wieder aufhören könnten. Auch glaubten viele, dass schädliche Wirkungen eher andere treffen würden.
- Wer versucht zwei Dinge auf einmal zu ändern, sagen wir sich das Rauchen abzugewöhnen und zugleich auf die Ernährung zu achten oder weniger Alkohol zu trinken, hat bedeutend schlechtere Chancen. Unsere Selbstkontrolle ist wie ein Muskel, der am Ende des Tages auch ermüdet.
- Von 30 Millionen Amerikanern, die das Rauchen aufgeben wollten, scheiterten 75-80% innerhalb eines Jahres, so James O. Prochaska.
- Aktuelle Zahlen zeigen, dass 70% der Raucher aufhören wollen. Weniger als 5% schaffen es jedes Jahr.
- Wer dem Alkohol absagen will muss ebenso mit hohen Chancen für einen Rückfall rechnen. Im Jahr 1971 berichtet Hunt von einer 50-60%en Rückfallquote.
…attempts to rid oneself of undesirable but intrinsically rewarding behaviors such as overeating, gambling, smoking, and alcohol or drug use are common yet rarely successful.
– Janet Polivy und C. Peter Herman
- 90% behandelter Alkoholiker hatten mindestens “einen Drink“ innerhalb von drei Monaten nach Abstinenz. 45-50% sind wieder zurück zum Normalzustand.
- Zudem überschätzen wir unsere Fähigkeiten regelmäßig – und wir bemerken es nicht, so Kruger und Dunning.
- Die Erfolgsquote für die anonymen Spieler (Gamblers Anonymous) liegt nach zwei Jahren bei 7%.
- Unter Suchtkranken einer Befragungen vom blauen Kreuz sind nur 13% rückfällig geworden – was für professionelle Hilfe spricht.
The perfect is the enemy of the good.
– Voltaire
- Die Misserfolgsquote für die meisten Versuche ungesunde Gewohnheiten aufzugeben, wie Rauchen oder Alkohol, ist hoch. Aber selbst bei dem Versuch mehr Zeit für das Studium zu investieren oder neue Gewohnheiten zu schaffen erreichen wir unsere Ziele nur selten.
2. Schnelligkeit
- 25% der Entschlüsse werden nach 15 Wochen aufgegeben, so Gordon Alan Marlatt (1941 – 2011), Psychologe und Experte für Rückfallprävention im Jahr 1972. Das Rauchen aufzugeben und weitere gesundheitsbezogene Vorhaben seien am schwersten aufrecht zu halten.
Wenn wir eine schlechte Angewohnheit beseitigen, brauchen wir im Schnitt 10 Versuche.
– Janet Polivy und C. Peter Herman
- 20 Jahre später sehen die Zahlen sogar schlechter aus: Nahezu 25% der Vorsätze werden schon nach einer Woche aufgegeben. Obwohl 40% ganze 6 Monate durchhalten konnten, so eine Studie von John C. Norcross und Kollegen. Ähnliche Zahlen hatte ich bereits oben dargestellt.
- Selbst jene, die schließlich erfolgreich sind haben 5 oder 6 Versuche unternommen bis es klappt, meinen James O. Prochaska und Kollegen. Wer zum neuen Jahr einen Vorsatz fasst tut dies oft nicht zum ersten Mal.
- 10 Studien, untersucht von Cohen und Kollegen, belegen, dass nur 13-14% der Raucher, die aufhören wollen, nach 6-12 Monaten tatsächlich aufgehört haben. (Die Studienteilnehmer hatten versucht den Zigaretten ohne professionelle Hilfe abzuschwören.)
- Wenn wir eine schlechte Angewohnheit beseitigen, brauchen wir im Schnitt 10 Versuche.
3. Ausmaß
- Wir glauben oft Änderungen wären leichter als sie wirklich sind. Eine Studie zur Gewichtsreduktion veranschaulicht das sehr gut. Gary Foster untersuchte die Ziele, Erwartungen und Ergebnisse einer 48-wöchigen Behandlung. Die Teilnehmerinnen der Studie definierten ihr «Traumgewicht», und je ein Gewicht, das sie als zufriedenstellend, akzeptabel oder enttäuschend beschreiben würden. Die Ziele der Teilnehmerinnen forderten im Schnitt einen Gewichtsverlust von 32% ihres Körpergewichts. Ein Gewichtsverlust von 17kg wurde als enttäuschend beschrieben, 25kg waren akzeptabel. Nach den 48 Wochen hatten die Frauen im Durchschnitt 16kg an Gewicht verloren. 47% der Patientinnen haben damit nicht einmal ein Gewicht erreicht, das sie selbst zuvor als enttäuschend definiert hatten. Offenbar sind die Frauen mit absurden Erwartungen gestartet.
4. Auswirkung auf weitere Lebensbereiche
Wir glauben zu guter letzt das eine neue Gewohnheit mehr in unserem Leben verändert als realistisch zu erwarten ist.
- Beispielsweise, glauben Leute nicht nur, dass eine Diät zum Abnehmen führt, sondern auch automatisch zu einer Beförderung im Job oder in eine neue Beziehung.
- Jene die abnehmen wollen, glauben, dass sich ihre Fremdwahrnehmung wandelt. Sie hoffen auf ein Bild, dass sich durch Selbstkontrolle, harte Arbeit, Ehrgeiz und Erfolg zeichnet, statt Faulheit oder sogar Verantwortungslosigkeit. Diese Erwartungen sind fraglich, wenn nicht haltlos.
- Patienten mit Anorexia nervosa oder Bulimie teilen die Erwartung, eine Diät einzuhalten würde zu allgemeiner Selbstverbesserung führen («.overgeneralized self-improvement»)
Wer scheitert glaubt vielleicht er habe eine schlechte Selbstkontrolle. Was genau das ist und welche Rolle sie tatsächlich spielt zeige ich dir jetzt.
Welche Rolle spielt unsere Selbstkontrolle?
Selbstkontrolle wird traditionell als Konflikt zwischen zwei inneren Parteien betrachtet. Die eine Partei versucht die andere aufzuhalten. Im besten Fall setzen sich die weitsichtigeren Absichten durch.
Das prominenteste Beispiel ist der Marshmallow-Test, indem Kinder in den Konflikt zwischen einem Marshmallow hier und jetzt oder zweien später gebracht wurden.
In diesem Sinne bedeutet Selbstkontrolle i.d. Regel die Unterdrückung schlechter Absichten. Der Psychologe Julius Kuhl spricht daher von der inneren Diktatur, wenn wir willentlich einem inneren Impuls widerstehen.10
Hier einige Befunde zur Selbstkontrolle aus aktuellen Studien.
- Eine gute Selbstkontrolle sagt viel Positives voraus. Beispielsweise akademischen Erfolg, ein höheres Einkommen, bessere Beziehungen oder eben auch Gesundheit. Bisher wurde aber nur selten hinterfragt wie genau eine hohe Selbstkontrolle zu diesen Ergebnissen führt. Die augenscheinliche Erklärung ist, dass Menschen mit hoher Selbstkontrolle Versuchungen widerstehen und eher gute Absichten verfolgen. Paradoxerweise ist das Gegenteil der Fall, meinen Brian M. Galla und Angela L. Duckworth. Personen mit hoher Selbstkontrolle müssen weniger Versuchungen durch Willenskraft widerstehen. Stattdessen bestätigen 6 Studien, dass gute Gewohnheiten den Zusammenhang zwischen Selbstkontrolle und Erfolgen wie Gesundheit und Einkommen erklären.
- Bei Personen mit starker Willenskraft zeigen sich schwache Gewohnheiten was ungesunde Dinge angeht. Auf der anderen Seite haben sie stabile Gewohnheiten bzgl. gesundem Schlaf, Sport und einen effektiven Arbeitsstil.
- Interessanterweise befinden sich Menschen mit ausgeprägter Selbstkontrolle seltener in Konflikten und müssen sich seltener bzgl. Versuchungen «zusammenreißen» als Menschen mit geringer Selbstkontrolle.
- Selbstkontrolle kann strategisch genutzt werden. Wer regelmäßig negative (und verführerische) Anreize aus seiner Umwelt entfernt bzw. positive Anreize schafft hat es leichter gute Gewohnheiten zu festigen.
- In diesem Sinne spielen Menschen mit hoher Selbstkontrolle offensiv, statt defensiv.
- Eine Studie zeigt, dass wir eher zu Apfelstücken greifen, die in Reichweite sind, auch, wenn wir Popcorn bevorzugen würden, dieses aber weiter entfernt ist. Also ran mit den Äpfeln.
Störbedingungen für Selbstkontrolle
Bedenkt man, dass unsere Selbstkontrolle ein sehr störanfälliger Mechanismus ist, bekommt der strategische Einsatz einen umso höheren Stellenwert. Es gibt fünf störende Faktoren für unsere Selbstkontrolle:11
- viel um die Ohren haben, mehrere Dinge gleichzeitig beachten müssen (cognitive load)
- Unterforderung, Langeweile
- Gefühle wie Angst, Sorge, Ärger, Wut, aber auch Euphorie
- Ablenkung, Verführung zu alternativen Handlungen
- mangelnde Befriedigung körperlicher und psychischer Basisbedürfnisse (Schlafmangel, nicht genug Sex, Hunger, Durst, zu wenig Sonnenlicht, zu wenig Anerkennung, zu wenig Sinn in der aktuellen Lebenssituation, zu wenig Freunde und Beziehungen, zu wenig Freiheit).
Wahrscheinlich spielt zu 90% der Zeit mindestens einer dieser Faktoren eine Rolle.
Was stärkt unsere Selbstkontrolle?
- Meditation
- Sport
- Ernährung mit niedrigem glykämischen Index
Diese drei Dinge erfordern eine kleine Investition im Laufe des Tages. Der „ROI“ (return on investment) ist aber enorm, so Kelly McGonigal, Gesundheitspsychologin und Autorin.12
Gibt es günstige Zeitpunkte für Veränderungen?
Studien beschreiben den «habit discontinuity effect».13 14 Dieser besagt, dass Ereignisse wie ein neuer Job, ein Umzug oder die Geburt eines Kindes gute Chancen für Verhaltensänderungen sind. Denn zu diesen Zeiten verschwinden natürlicherweise bestimmte Auslöser und es kommen neue.
- Veränderungen sind am erfolgreichsten, wenn man diese Ereignisse wie einen Jobwechsel ausnutzt, meinen Wendy Wood und David T. Neal.
- In einer Studie, die Versuche untersuchte unliebsame Verhaltensweisen zu ändern, wurde unter Erfolgreichen zu 36% ein Umzug erwähnt. Nur zu 13% bei den Nicht-Erfolgreichen. Zudem hatten 13% der bemerkt, dass sie etwas im Umfeld geändert hatten, um die Veränderung zu erleichtern. Unter denen, die sich nicht geändert hatten, hat davon keiner berichtet.
- Wer sein Zuhause und seinen Arbeitsplatz ändert hat es demnach leichter sich zu ändern. Studenten, die bspw. ihr Smartphone in Nebenzimmer lassen, waren erfolgreicher hinsichtlich akademischen Zielen und mussten weniger Versuchungen widerstehen.
Die Rolle des Unbewussten
Unser Gehirn bewertet alles was wir tun im Hinblick auf die Frage, ob es unserem Wohlbefinden gut tut oder eben nicht. Das ist weniger eine rationale Bewertung als eine emotionale. Diese Bewertungen werden laut Gerhard Roth im «emotionalen Erfahrungsgedächtnis» gespeichert und uns über das sprichwörtliche Bauchgefühl vermittelt. Das Unbewusste hat dabei immer das erste und das letzte Wort.
- Dazu Gerhard Roth:
Eine Grundbedingung muss beachtet werden, nämlich dass dasjenige, was schließlich getan wird, im Einklang mit dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis steht. Dies ist der Grund dafür, dass diese Instanz das erste und das letzte Wort hat. Wir müssen nämlich mit unserer Handlungsentscheidung leben können. Was wir tun, muss im Lichte unserer bewussten und insbesondere unbewussten Lebenserfahrung plausibel und gerechtfertigt erscheinen. Dies entspricht der Übereinstimmung unbewusster Motive und bewusster Ziele. Können wir dies auf Dauer nicht, werden wir psychisch krank.
– Gerhard Roth (Warum es so schwierig ist sich und andere zu ändern)
- Unsere Motive («unbewusste Sollwert-Melder») bestimmen dabei maßgeblich unser Verhalten. Noch einmal Gerhard Roth:
Wir müssen etwas, das uns aus dem Unbewussten aufsteigend antreibt, als Wunsch oder Bedürfnis empfinden, damit dieser Wunsch beziehungsweise dieses Bedürfnis zusammen mit der bewussten Analyse der Sachlage zu einem vernünftigen oder zumindest emotional akzeptablen Handlungsentwurf vereinigt werden kann. Geschieht dieses Bewusstwerden der Motive nicht, so ist ein solcher Abgleich nicht möglich; wir würden uns sehr wundern, dass wir eine Handlung bewusst planen, aber – aufgrund unbewusster Motive – etwas ganz Anderes tun.
– Gerhard Roth (Fühlen, Denken, Handeln)
- Einsichten alleine reichen also nicht, um unsere Gewohnheiten zu ändern. Das demonstriert die «5 a day»-Kampagne aus den USA sehr gut. Das Ziel war den Verzehr von Obst und Gemüse anzukurbeln. Ursprünglich hatten 7% der Amerikaner es für wichtig gehalten 5 mal am Tag Obst oder Gemüse zu essen. Nach der Kampagne waren es schon 20%. Dummerweise blieb der Verzehr von Obst und Gemüse trotz Einsicht unverändert.
- Das Fortsetzen des Gewohnten vermittelt das trügerische Gefühl der Sicherheit. Zudem belohnen die Basalganglien als Orte von Gewohnheiten über die Ausschüttung von hirneigenen Opioiden sprichwörtlich alte Marotten. Deshalb spricht man auch von den »lieben Gewohnheiten«, und sie aufzugeben oder gegen sie zu verstoßen, erzeugt Unlust oder sogar Angst. Gegen diese Macht der Gewohnheit, die natürlich auch für tief eingegrabene Denkweisen und verfestigte emotionale Einstellungen gilt, muss jede Veränderungsabsicht ankämpfen und entsprechend Belohnungen in Aussicht stellen, die größer sind als die intrinsische Belohnung des »Weitermachens wie bisher«, so Gerhard Roth und Alica Ryba.
Was ist mit Apps?
Apps zur Verhaltensmodifikation wie Streak sind hoch im Kurs. Leider orientiert sich kaum eine App am aktuellen Wissensstand.
Katarzyna Stawarz vom UCL London hat mit ihrem Team 105 Apps untersucht und Folgendes festgestellt:15
- Apps nutzen i.d.R. Erinnerungen und Checklisten. Beide helfen nicht Gewohnheiten zu bilden, weil keine Verknüpfung zwischen Auslöser und Routine stattfindet. Stattdessen bindet man sich an die Erinnerungen aus der App. Der Auslöser ist dann nicht mehr die Situation, in der du deine Routine durchführen möchtest, sondern das Klingeln des Handys. Hört das Handy auf zu klingeln, gibt es auch keinen Auslöser und keine Gewohnheit.
Reminders also inhibit automaticity as the most important characteristic of habit. When the reminders are removed, people usually forget to act upon their intended goal.
– Adhi Wicaksono et al.
- Zeitliche Erinnerungen helfen zwar eine Routine öfter zu wiederholen. Sie behindern aber den Übergang in den automatischen Modus. Die Situation selbst sollte deine Routine «triggern». Im Sinne der Gewohnheitsbildung, sind es daher nutzlose Wiederholungen.
- Erinnerungen können auch dazu führen, dass wir nochmal ins Überlegen kommen. Und konkretes Überlegen steht Gewohnheiten eher im Weg. Erst wenn unsere Ziele in den Hintergrund geraten entstehen die gewünschten Gewohnheiten.
- Betrachtet man wie Anbieter von Apps werben muss man sich fragen, ob ihnen überhaupt klar ist was eine Gewohnheit ist.
- Habitify wirbt bspw. damit, dass du nie wieder deine Gewohnheit vergisst. «Never forget to do a habit». Wenn wir davon ausgehen, dass eine Gewohnheit durch eine bestimmte Uhrzeit oder Situation «getriggert» wird, macht das wenig Sinn. Kaum jemand muss sich daran erinnern morgens zu duschen oder die Zähne zu putzen.
- Auch wenn wenige Apps sich an den Prinzipien der Gewohnheitsbildung orientieren gibt es Hoffnung auf Neuerungen, wie Apps, die einen bestimmten Standort erkennen und damit situationsabhängige Erinnerungen bieten. Beim Betreten der Küche könnte dann ein Klingeln an ein Glas Wasser erinnern, so Lucas Carden und Wendy Wood. Die klassische Konditionierung kann dann ihre Arbeit tun.
- Apps sollten die Auslöser unserer Gewohnheiten herausstellen, an dieUmsetzung erinnern zugleich aber nicht täglich genutzt werden um eine Abhängigkeit zu verhindern.
3 Gründe unsere Gewohnheiten in den Griff zu kriegen
Gewohnheit hat einen langweiligen Beigeschmack. Es gibt aber sehr gute Gründe seine Gewohnheiten gut im Blick zu halten.
1. Freier Kopf durch Autopiloten
Je mehr Details unserer alltäglichen Handlungen wir in die Obhut unseres Autopiloten geben können, desto mehr haben wir unseren Kopf frei für das Wichtige. Das sagte auch schon William James (1842 – 1910), Urvater der amerikanischen Psychologie:
…we must make automatic and habitual, as early as possible, as many useful actions as we can . . . The more details of our daily life we can hand over to the effortless custody of automatism, the higher mental powers of mind will be set free for their own proper work.
– William James (Principles of Psychology Vol. 1)
2. Automatisierter Wille
Studien zeigen immer wieder, dass Ziele und Absichten auf lange Sicht kaum Einfluss auf unser Verhalten haben.16
Wenn der Wille schwach wird erlauben uns unsere aber Gewohnheiten weiterhin zielorientiert vorzugehen. Das setzt natürlich voraus, dass wir die richtigen Gewohnheiten «installiert» haben. 17
3. Gewohnheiten geben uns Identität
Your identity emerges out of your habits. Every action is a vote for the type of person you wish to become.
– James Clear (Atomic Habits)
Wie gelangt eine Person zu der Einsicht, dass sie liberal, gebildet oder religiös ist?
Psychologen sagen, dass wir uns selbst in unserem Verhalten beobachten und daraus Schlüsse ziehen.
Ich verbringe viel Zeit auf der Couch, also bin ich eher faul.
Ich bin jemand, der täglich schreibt also bin ich ein Autor.
Ich bin jemand, der zweimal die Woche ins Fitnessstudio geht. Diese Termine verpasse ich nie. Ich bin sportlich und verlässlich.
Jede Handlung ist wie eine Stimme für die Art Person, die wir sein wollen.
– James Clear (frei übersetzt)
Gewohnheiten stiften Identität.
Was kann ich tun, um meine Gewohnheiten zu ändern?
(In diesem Sinne kann die WOOP-Methode von Gabriele Oettingen helfen.)
Menschen in Bewegung zu bringen, geschieht vor allem dadurch, dass man sie träumen lässt und diese Träume mit den Hindernissen der Realität konfrontiert.
– Gabriele Oettingen
Die Kurzfassung
Im Grunde ist die Sache leicht beschrieben.
Wiederhole deine neue Routine im selben Kontext (d.h. Situation, Uhrzeit, etc.) bis sie sich verselbständigt und automatisch abläuft.18
Natürlich ist die Umsetzung oft schwerer, daher die folgenden Hinweise.
3 Prinzipien für neue Gewohnheiten
(1) Wiederholung…
Hier gilt das Nike Mantra: »Just Do It!«
Jahrzehnte psychologischer Forschung zeigen, dass Wiederholung zu Gewohnheiten führt, so Benjamin Gardner und Kollegen.18
(2) …im selben Kontext
Wie wichtig stabile Auslöser sind zeigt eine Studie, die routinierte Sportler befragt hat. 90% der Sportler mit festen Routinen hatten feste Zeiten oder Orte, die den Befragten sagen, dass es Zeit ist Sport zu treiben.19
Eine weitere Studie zeigt, dass die Einnahme von Medikamenten regelmäßiger stattfindet, wenn die Einnahme in bestehende Routinen integriert wird, bspw. beim Zähneputzen.20
(3) …mit unregelmäßigen Belohnungen
Spielautomaten sind ein gutes Beispiel für unregelmäßige Belohnungen. Die Leute versuchen es immer wieder. Manchmal gewinnen sie, manchmal verlieren sie. Dieses System ist so effektiv, dass einige Menschen Haus und Hof wegen der Spielerei verzocken.
Email und soziale Medien haben ähnliche Effekte. Die Leute checken wieder und wieder ob es was Neues gibt, aber nur manchmal gibt es wirklich eine Überraschung.
The reward is really important because that’s how your brain essentially learns to latch onto a particular pattern and make it automatic. Chocolate, after running, is an obvious example of a reward that many people enjoy. It doesn’t have to be chocolate. What matters is that if you want to make a behavior into a habit, you need to give yourself something you enjoy as soon as that behavior is done. It could be a piece of chocolate. It could be having a smoothie. It could be relaxing for 15 minutes and taking a nice shower. What’s important there is that people give themselves a reward.
– Charles Duhigg, The Power of Habit
Wenn du dich belohnen willst tu es aber nicht jedes Mal, sondern unregelmäßig.21
Uncertain rewards are most effective.
– Wendy Wood & David T. Neal
Wer die drei Prinzipien kombiniert hat die besten Chancen, wie eine Studie zur Gewichtsreduktion zeigt. Die Ergebnisse sind doppelt so gut, wenn man die drei Prinzipien kombiniert: 20 Pfunde vs. 10 Pfund Gewichtsverlust.
3 Prinzipien gegen alte Gewohnheiten
If you don’t want to slip, don’t go where it’s slippery.
– Alcoholics Anonymous
(1) Loslösen von den Auslösern (ODER: »cue disruption«)
Oft gehen wir schlechten Gewohnheiten in ganz bestimmten Situationen nach. Wenn wir in Stress geraten werden wir vielleicht eher ausfallend. Chips werden oft auf der Couch vernascht. Wer diese Situationen und Auslöser kontrolliert hat gute Chancen seltener in schlechte Gewohnheiten zu verfallen.21
(2) Persönliche Umstrukturierung (ODER: »environmental reengineering«)
Wer weniger Chips essen will, um abzunehmen, sollte keine in Reichweite haben. D.h. sie garnicht einkaufen und eher Alternativen platzieren. Das selbe gilt für jene, die ihren Alkoholkonsum reduzieren wollen oder weniger Zeit auf den sozialen Medien verbringen wollen.
Stellt das Bier weit hinten in den Kühlschrank oder habt besser gar keins im Haus. Verbannt die sozialen Medien vom Homebildschirm.
Für neue Routinen gilt das selbe:
Wer auf der anderen Seite mehr Obst essen will sollte frisches Obst in Reichweite haben. Logisch, oder?
Stell die Laufschuhe raus, wenn du am Morgen laufen willst.
Wer mehr lesen will kann die Kindle-App bspw. auf dem Homebildschirm platzieren.
Ein Beispiel auf meinem iPhone:
Unter Chefköchen heißt es «Mise en Place»: alles an Ort und Stelle, damit effizient gearbeitet wird. Für uns: möglichst wenig Reibung, wenn wir neue Gewohnheiten aufbauen wollen oder möglichst viel Reibung, wenn wir schlechte Gewohnheiten brechen wollen.
(3) Sei wachsam! (ODER: »vigilant monitoring«)
Eine weitere Möglichkeit ist natürlich wachsam und mit Einsatz unserer Selbstkontrolle zu verhindern, dass wir in schlechte Gewohnheiten verfallen.
Die «Sei-wachsam-Methode» ist vielleicht die alltäglichste Variante. Das wachsame Überwachen gefährlicher Situationen wird aber auch in Studien als wirksame Methode belegt.22
Man könnte sie als Überschreiben schlechter Gewohnheiten beschreiben.21
Wenn-Dann-Pläne
Indem wir die Umsetzung unserer Pläne mittels Wenn-Dann-Plan vorbereiten ermöglichen wir unserem Unbewussten eine Situation mit einer Routine zu koppeln und folglich automatisch zu reagieren.23
Wenn-Dann-Pläne folgen immer diesem Muster: Wenn Situation X eintritt, dann tue ich Y.
Beispiel: «Wenn ich morgen früh aufwache, dann trinke zuerst ein Glas Wasser.»
Baut man sich seinen Plan in dieser sprachlichen Form, ist man in der Lage, direkt auf die Ebene der unbewussten Automatismen zuzugreifen. Dadurch können Wenn-Dann-Pläne eine Situation, die von ihrem Wesen her kritisch und gefährlich ist, weil sie alte Automatismen aktiviert […] im Unbewussten direkt mit dem zielführenden Verhalten verbinden.
– Maja Storch und Frank Krause (Selbstmanagement – ressourcenorientiert)
Am besten werden Wenn-Dann-Pläne kurz notiert.
Apps können an Wenn-Dann-Pläne erinnern oder im Laufe des Tages anstoßen, dass man sich überlegt wie, wo und wann man seine neue Gewohnheit festigt.24
ABC Situationen
In Teil Eins haben wir drei Situationstypen unterschieden. Wenn-Dann-Pläne können für alle drei Situationen gemacht werden:
Situationstyp A (wie automatisch): Situationen, in denen die Verwirklichung einer neuen Routine einfach und automatisch gelingt.
Situationstyp B (wie berechenbar): Situationen, in denen die Verwirklichung der Routine schwierig ist, Hindernisse aber vorhergesehen und darum vorbereitet werden können.
Situationstyp C (wie chaotisch:) Situationen, in denen die Verwirklichung schwierig ist und die außerdem überraschend eintreten und darum nicht vorbereitet werden kann.
4 Ideen für chaotische Situationen
Pain + Reflection = Progress
Ray Dalio
- Zu erkennen, dass das soeben eine chaotische Situation war ist Vorraussetzung.
- Versuche dich nicht Stunden, Tage oder gar Wochen über das eigene Versagen in der Situation aufregen. Du hast es erwartet.
- Wenn vier bis sechs dieser Situationen geschehen sind, analysiere. Welche Gemeinsamkeiten und Auslöser gibt es?
- Wurde ein Auslöser erkannt, formuliere einen Weg damit umzugehen. Formuliere einen Wenn-Dann-Plan.
»Temptation Bundling«
Was wenn du deine größten Versuchungen nutzen könntest, um dir deine neuen Gewohnheiten zu versüßen?
Diesen Gedanken hatte auch Katherine Milkman, Professorin an der Universität von Pennsylvania.
Das Ergebnis ihrer Studie?
Wer bspw. seine Lieblings-Hörbücher im Fitnessstudio einsperrt und sie nur hört, wenn er auf dem Laufband schwitzt ist 29-51% häufiger im Fitnessstudio als Teilnehmer der Kontrollgruppe.
Was wir sollten wird also leichter, wenn wir es mit dem was wir wollen kombinieren. Diese Effekte lassen mit der Zeit nach. Aber aller Anfang ist ein Anfang.
Nach der Studie wollten 61% der Teilnehmer die Strategie beibehalten.25
Kleine Schritte (werden schneller zur Gewohnheit)
Kleine Schritte sind besser als keine.
Kleine Schritte werden auch schneller zur Gewohnheit, meinen Benjamin Gardner und Kollegen:26
A sedentary person, for example, would be more appropriately advised to walk one or two stops more before getting on the bus than to walk the entire route — at least for their first habit goal. Small changes can benefit health: slight adjustments to dietary intake can aid long-term weight management, and small amounts of light physical activity are more beneficial than none. Moreover, simpler actions become habitual more quickly. Additionally, behaviour change achievements, however small, can increase self-efficacy, which can in turn stimulate pursuit of further changes.
– Benjamin Gardner
Dr. BJ Fogg formuliert es noch viel leichter:
B = MAP
– BJ Fogg
Behavior = Motivation x Ability x Prompt
oder frei übersetzt:
Verhalten = Motivation x Fähigkeit x Auslöser
Die Wahrscheinlichkeit für ein Verhalten entsteht als Produkt aus Motivation, Fähigkeit und Auslöser.
Wenn ein Faktor gegen Null geht entsteht das gewünschte Verhalten nicht.
Im Sinne der kleinen Schritte heißt es die Anforderungen so gering wie möglich zu halten. Dann haben wir keinen Grund darüber nachzudenken, sondern machen einfach.
Der Autopilot liebt Routine
Man sagt Abwechslung sei die Würze des Lebens. Für die Gewohnheitsbildung ist Abwechslung aber hinderlich.
Benjamin Gardner meint Abwechslung helfe zwar gegen die Langeweile, der Autopilot übernimmt aber nicht die Routine:26
Variation may stave off boredom, but is effortful and depends on maintaining motivation, and is incompatible with development of automaticity.
– Benjamin Gardner
Der Grundgedanke bleibt also gleich: Wiederhole die selbe Sache im selben Kontext.
Verabschiedungsritual für alte Gewohnheiten
Oft hatten schlechte Gewohnheiten zu einem Zeitpunkt in unserem Leben einen guten Grund.
Sie sind wie ein alter Freund, der nicht dazu gelernt hat, so Gabor Maté.
Wenn wir die ursprünglichen guten Gründe wiederfinden, kann die Gewohnheit abdanken und wir uns verabschieden. Denn heute sind diese Gründe höchst wahrscheinlich nicht mehr treffend.
Bleibe neugierig
Die eigenen Gewohnheiten zu ändern gelingt nicht von jetzt auf gleich. Es bleibt ein Prozess. Wie Judson Brewer in seinem TED Talk beschreibt helfen Neugierde und Achtsamkeit in diesem Prozess.
Oft wissen wir das etwas gut oder schlecht ist. Das ist nicht mehr der Punkt. Vielmehr müssen wir mit allen Sinnen die Konsequenzen unserer Gewohnheiten erleben.
Zigarettenrauch in eisiger Kälte wird von vielen Rauchern hingenommen. Aber was genau war daran nochmal so schön?
Wenn wir ohne viel Nachdenken unseren Routinen nachgehen übersehen wir viel. Mit allen Sinnen zu prüfen was im hier und jetzt passiert, kann den Zauber alter Gewohnheiten nehmen. Oder den Zauber für neue Gewohnheiten schaffen, deren Vorteile ja meinst weit in der Zukunft liegen.
Bleibe also neugierig welche Erfahrungen und Veränderungen du siehst.
Gewohnheiten: Top 10 der Zahlen & Fakten
1. Eine amerikanische Studie zeigt, dass 40% vorzeitiger Todesfälle auf vermeidbare Faktoren zurückzuführen sind. Faktoren, die wir beeinflussen können, wenn wir unser Verhalten ändern.27
2. 30 – 50% unseres täglichen Handelns werden durch Gewohnheiten bestimmt!28
3. Nach 66 Tagen bilden sich Gewohnheiten, d.h. der Autopilot übernimmt die Kontrolle. Dann geschehen unsere Handlungen tendenziell automatisch, so Phillipa Lally vom University College London.29
4. Gewohnheiten haben bestimmte Auslöser, wie einen Ort oder Zeitpunkt. Routinierte Sportler konnten in einer Studie zu 90% einen solchen Auslöser benennen, wie das Joggen am Strand.30
5. Wo unsere Absichten und Ziele kurzfristig eine Rolle spielen, herrschen langfristig unsere Gewohnheiten.21
6. Wir können unsere Ziele als Gewohnheit an unseren Autopiloten delegieren und somit auch unbewusst zielstrebig handeln – selbst wenn unser Wille schwach ist. Dafür müssen unsere Ziele und Gewohnheiten natürlich übereinstimmen.31
7. Apps helfen kaum bei der Bildung von Gewohnheiten. Denn Erinnerungen und Self-Tracking haben keine Wirkung auf die Bildung von Gewohnheiten.32
8. Es ist nicht schlimm, wenn wir mal einen Tag verpassen. Zwei Tage oder eine Woche hingegen machen einen Unterschied, wenn sich Gewohnheiten bilden sollen. Daher heißt es, «never miss twice»!29
9. Wenn wir eine schlechte Angewohnheit beseitigen wollen, brauchen wir im Schnitt 10 Versuche.33
10. Die Einsicht allein, dass eine alte Gewohnheit schlecht sei oder eine mögliche Neue wirklich Vorteile bringt reicht oft nicht. Wir müssen neu und anders Handeln, damit wir emotional begreifen, was neue Gewohnheiten mit sich bringen. Ein Weitermachen wie bisher liefert ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Dieses zu überwinden braucht eine greifbar packende Aussicht.34
Top 4 Bücher zum Thema Gewohnheiten
- The Power of Habit von Charles Duhigg
- Daily Rituals: How Artists Work von Mason Currey
- Hooked: How to Build Habit-Forming Products von Nir Eyal
- Definition: »externally-triggered automatic responses to frequently encountered contexts« aus Making health habitual: the psychology of ‘habit-formation’ and general practice (2012) von Benjamin Gardner (Link)
- The Power of Habit: Why We Do What We Do, and How to Change (2013) von Charles Duhigg (Link)
- A review and analysis of the use of ‘habit’ in understanding, predicting and influencing health-related behaviour (2015) von Benjamin Gardner (Link)
- Habits—A Repeat Performance von David T. Neal und Kollegen (Link)
- Gute Vorsätze 2020 von der DAK-Gesundheit (Link)
- Wie lang die guten Vorsätze halten von Hedda Nier (Link)
- Den Rubikon überschreiten: Lerncoaching als Beitrag zum selbstgesteuerten Lernen (2009) von Maja Storch und Jörg Schett
- The false hope syndrome: Unrealistic expectations of self-change von Janet Polivy (Link)
- Zielsetzungstheorie von Marie Hennecke, Dorsch Lexikon (Link)
- Individuelle Unterschiede in der Selbststeuerung (2018) von Julius Kuhl in: Motivation und Handeln von Jutta Heckhausen und Heinz Heckhausen (Link)
- Selbstmanagement – ressourcenorientiert (2017) von Maja Storch und Frank Krause (Link)
- Bergauf mit Rückenwind von Kelly McGonigal (Link)
- Habit formation and change (2018) von Lucas Carden und Wendy Wood (Link)
- Habit Discontinuity, Self-Activation, and the Diminishing Influence of Context Change: Evidence from the UK Understanding Society Survey (2016) von Gregory Owen Thomas et al. (Link)
- Beyond Self-Tracking and Reminders: Designing Smartphone Apps that Support Habit Formation (2015) von Katarzyna Stawarz und Kollegen
- Bspw. Healthy through habit: Interventions for initiating & maintaining health behavior change von Wendy Wood und David T. Neal (Link)
- How do people adhere to goals when willpower is low? (2013) von David T. Neal und Kollegen (Link)
- Making health habitual: the psychology of ‘habit-formation’ and general practice (2012) von Benjamin Gardner und Kollegen (Link)
- Habit formation among regular exercisers at fitness centers: an exploratory study (2013) von K. Tappe und Kollegen zitiert nach Healthy through habit: Interventions for initiating & maintaining health behavior change von Wendy Wood und David T. Neal (Link)
- Strategies used by older adults with asthma for adherence to inhaled corticosteroids (2014) von Taylor L. Brooks et al. (Link)
- Healthy through habit: Interventions for initiating & maintaining health behavior change von Wendy Wood und David T. Neal (Link)
- Can’t Control Yourself ? Monitor Those Bad Habits(2010) von Jeffrey M Quinn et al. (Link)
- Do implementation intentions help to eat a healthy diet? A systematic review and meta-analysis of the empirical evidence (2011) von Marieke A. Adriaanse und Kollegen (Link)
- Does Adding Reinforcement of Implementation Intentions Support Behaviour Change? (2018) von Adhi Wicaksono et al. (Link)
- Holding the Hunger Games Hostage at the Gym: An Evaluation of Temptation Bundling (2014) von Katherine L. Milkman et al. (Link)
- Making health habitual: the psychology of ‘habit-formation’ and general practice (2012) von Benjamin Gardner et al. (Link)
- Data from Major Studies of Premature Mortality (Link)
- The strength of habit (2015) von Sheina Orbella und Bas Verplanken (Link)
- How are habits formed: Modeling habit formation in the real world (2012) von Phillppa Lally und Kollegen(Link)
- Habit formation among regular exercisers at fitness centers: an exploratory study (2013) von K. Tappe und Kollegen zitiert nach Healthy through habit: Interventions for initiating & maintaining health behavior change von Wendy Wood und David T. Neal (Link)
- The Automated Will: Nonconscious Activation and Pursuit of Behavioral Goals (2001) von John Bargh et al. (Link)
- Don’t Kick the Habit: The Role of Dependency in Habit Formation Apps (2016) von Ian Renfree und Kollegen (Link)
- If at first you don’t succeed: false hopes of self-change (2002) von Janet Polivy und C. Peter Herman (Link)
- Coaching, Beratung und Gehirn Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte (2019) von Gerhard Roth und Alica Ryba (Link)